Wo sonst senkt man als Mittvierzigerin - allein durch pure Anwesenheit -  den Altersdurchschnitt um ein erhebliches Maß?
Wo sonst gehört man zu den Jüngsten, Beweglichsten, Unzerknittersten, am wenigsten Ergrauten und vor allem am wenigsten Verbeigeten?
In meiner heimischen Nachbarschaft, mit seinen trendigen Lokalen, den szenischen Cafés und den hippen (beige-befreiten) Boutiquen treibe ich den Schnitt oftmals in die entgegengesetzte Richtung. Hier gibt es Plattenläden (nennt man die eigentlich noch so), in denen ich nicht ein einziges Musikstück kenne. Soviel zu meinem damaligen Schwur. Jedenfalls findet man Beige in dieser Saison hier allenfalls äußerst dezent und in Kombination mit Schwarz oder Petrol, oder aber an den Leibern staunender Touristen, die durch Reportagen in ihren Provinzblättern auf unsere Existenz aufmerksam gemacht worden sind. Nun möchten sie neben der Reeperbahn noch etwas Besonderes entdecken. Das Interesse ist nicht selten beiderseits, denn als Szeneviertelbewohnerin hatte  man bis vor kurzem selten die Chance vor der eigenen Haustür Pärchen in regenabweisendem Partnerlook und festem Schuhwerk bei schönstem Hamburger Wetter zu sehen. Hier trägt man Flipflops oder Uggboots in Rosa (selbstverständlich das australische Original aus Lammfell). Unsere Uniformen sind komplizierter. Die Regenjackenfraktion (manchmal erst ab der Hüfte abwärts in Beige) ist eine Spezies, die besonders an den ausladenden Ständen

gern an Wochenenden mit minimaler Schrittgeschwindigkeit an den ausladenden Ständen der türkischen Gemüsehändler vorbei flaniert und sich an ihren letzten Urlaub unter südlicher Sonne erinnert.
Wenn ich mir die beigegekleideten Besucher anschaue, dann habe ich immer die Hoffnung, dass ihnen eines der farbigen Kleidungsstücke in den Schaufenstern gefällt und sie es anprobieren und im Spiegel einen - in gewisser Weise -  veränderten und bunteren Menschen entdecken.
Bei der Frage nach der „warum“ von Beige bin ich nicht weit gekommen. Aber immerhin haben meine Recherchen zu der erstaunlichen Information geführt, Beige sei die Farbe des Universums. Ein Astronomenteam habe aus dem Licht vieler Galaxien die Farbe Beige errechnet. Das macht sie und das Universum auch nicht schöner. Nach dem „woher“ der beigen Kleidung habe ich mich kürzlich bei meiner Joggingpartnerin erkundigt. Die schnelle Dame wird im nächsten Jahr siebzig, ist zum nächsten Marathon gemeldet und trägt niemals beige. Aber immerhin konnte sie mir den Tipp mit den Versandhauskatalogen geben. Dort habe ich noch nicht nachgeschaut. Warum denn auch? Meinen neusten Schwur werde ich schließlich niemals brechen!

<<
Ende
Exit