knackigen Hintern in der Menge aufblitzen. Die Dame läuft in einer anderen Liga.
Bei Kilometer fünf bin ich warm und stelle mir vor, das 42,195 Kilometer eine recht überschaubare Strecke sind: Im Prinzip handelt es sich nur um zwei aufeinander folgende Halbmarathons. Und einen Halbmarathon laufe ich schließlich „aus dem Stand”, zu jeder Tages- und Nachtzeit, mindestens einmal in der Woche. Was kann mir also passieren? Wie oft habe ich die Momente genossen in denen ich das Laufen, beim Laufen, nicht spürte?
Laufen ist dann kein Laufen mehr, sondern ein Sich-müheloses-fort-bewegen.
Kurz vor der Zwanzigkilometermarke ist es da; dieses wundersame Gefühl. Scheinbar wie von selbst bewege ich mich fort und komme dem Ziel unaufhaltsam näher. Ich muss nicht einmal an meine Beine denken. Sie tragen mich mühelos und locker durch die Stadtlandschaft. Ich stelle mir vor, in einem Taxi zu sitzen und auf den Straßenrand zu blicken. Ich rausche an den Zuschauern vorbei. Wer von ihnen wird mir glauben, dass Beine sich während eines Marathons so leicht und beinahe ruhend anfühlen können?

SCHATZI LAUF! steht auf einem Plakat, das eine Frau mit geröteten Wangen in die Höhe hält. Wer ist dieser Schatzi? Ob er das Plakat schon kennt, es bei Kilometer Zehn schon gesehen hat, bevor seine Frau in die U-Bahn gestürzt ist, um bei Kilometer Siebenundzwanzig wieder rechtzeitig an der Strecke zu stehen? Ob Schatzi glücklich ist? Ob er jetzt glücklich ist? Ob er schwerechelt er zurück.

glücklich ist? Ob er schwere Beine hat, genug gegessen und genug trainiert hat? Will er überhaupt ein Schatzi sein? Lieben diese Schatzis sich? Oder steht die Frau hier fröstelnd an der Laufstrecke, weil er es von ihr erwartet? Würde sie nicht lieber unter einer warmen Decke liegen? Mit ihm? Würde ich ein Anfeuern an der Strecke erwarten, wenn ich einen Schatzi hätte? Ist es „normal” so etwas von seinem Schatzi zu erwarten? Was ist eigentlich Liebe? Was macht eine funktionierende Beziehung aus? Gehört das An-der-Strecke-stehen dazu? Warum bin ich bei solchen Fragen immer so ratlos? Warum lassen sie mich selbst jetzt nicht los? Geklärt werden können sie hier und jetzt ohnehin nicht. Ich muss weiter.
Meine Beine sind wieder dort, wo sie hingehören, und erinnern mich schmerzend an ihre Schwerstarbeit. Was soll das ganze Gerede von Kraft und Energie? Eine gut trainierte Ausdauersportlerin soll angeblich davor strotzen und einen enormen Speicher zur Verfügung haben. Mit Schrecken stelle ich fest, dass meine Reserven schwinden. Noch vor dem Erreichen der Dreißigkilometermarke lässt meine Kraft derart rapide nach, dass ich schon nicht mehr weiß, wie sie sich überhaupt anfühlt. Immerhin: Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich im angepeilten Zeitrahmen bin. Ich laufe einen konstanten Kilometerschnitt von fünf Minuten und dreißig Sekunden.
Eine Frau im Rollstuhl applaudiert am Straßenrand. Als ich ihr in die Auge schaue, ruft sie: „Super! Lauf! Lauf!“ Ich winke ihr zu und merke, wie

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